Kartoffelsalat mit Kurtchen

„He, was suchen Sie in meinem Garten? Kommen Sie sofort da heraus oder ich rufe die Polizei!“

Die schrille Stimme gehört zu einem kleinen, hageren Mann. Auf dem Kopf trägt er einen Strohhut. Das gestreifte Hemd entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Schlafanzugjacke und auch die restlich Kleiderordnung ist mit langer Feinrippunterhose und rosa Plüschschweinchen-Hauspantoffeln eher unkonventionell.

Der Ruf nach der Polizei lockt einige Gärtner an die Zäune. Meine Gartennachbarin Frau B., Pierre, Kojak und auch Rapunzel recken die Hälse. Nur der eigentlich angesprochene Gärtner ignoriert das Lamento, das auf dem Weg zwischen unseren Gärten abgehalten wird oder er hört es nicht.

„Das ist eine Unverschämtheit. Sie können doch nicht einfach in fremder Leute Gärten die Kartoffeln ausgraben. Die will ich doch heute meiner Frau mitbringen.“, schimpft der Strohhutträger und dreht sich Hilfe suchend um.

„Hier sie, Frau äh?“

„Aldente,“ sage ich.

„Frau Aldente, sie kennen mich doch. Sagen sie bitte dem Herren dort, das er meinen Garten verlassen soll.“

In der Tat erkenne ich den Erzürnten. Es ist Opa Kurtchen, der vor neun Monaten den Garten, der auf der andern Seite des Weges meinem gegenüberliegt, aufgegeben hat. Als seine Frau gestorben war, zog er in eine betreute Senioren-Wohnanlage an den Stadtrand.
Sein Nachfolger auf der Parzelle, ein alleinstehender Mann namens Holger, sieht aus wie der Held in der ersten Folge von „Stirb langsam“. Deshalb bekam er den Spitznamen Bruce.

Endlich wird er auf Kurtchen aufmerksam. Bruce unterbricht seine Gartenarbeit, schnappt sich einen Spankorb mit Kartoffeln und schlendert mit einem breiten Grinsen auf den zeternden Gast zu.

Frau B. gefällt sich in der Rolle der Friedensstifterin und lädt mit großer Geste alle Umstehenden zum Kartoffelsalatessen ein.

Am Gartentisch versuchen wir mit vereinten Kräften, Kurtchen beim Erinnern zu helfen. Frau B. hängt ihm eine Decke über die Schultern. Der Grill wird angeheizt. Alle klappern mit Gläsern und Geschirr und plappern durcheinander.

Rapunzel ruft unterdessen beim Seniorenheim an, gibt Kurtchens Koordinaten durch und verspricht seine Rückfahrt zu organisieren.

Der Kartoffelsalat von Frau B. wird von allen gelobt und Kurtchen gibt keine Ruhe, bis sie alle Zutaten preisgegeben hat.

Zunächst werden 1,5 Kilogramm fest kochende Kartoffeln gekocht und gepellt. Wenn die Kartoffeln ausgekühlt sind, werden sie in kleine Würfel geschnitten. Vier große Zwiebeln ebenfalls in Würfel schneiden und in Olivenöl glasig dünsten. Vier bis sechs große saure Gurken und zwei bis drei herbe Äpfel in Würfel schneiden und unter die abkühlenden Zwiebeln heben. Jeweils zwei Hände voll Schnittlauch, krause Petersilie, Olivenkraut und frische Liebstöckeltriebe fein hacken und mit Zwiebeln, Gurken, Äpfeln und den kalten Kartoffelstücken vermengen. Eine Prise Salz und Pfeffer aus der Mühle runden den Salat ab. Wenn das Öl aus der Zwiebelpfanne für die Bindung nicht ausreicht, kann auch noch ein Schuss Öl hinzugegeben werden.

32 Gedanken zu “Kartoffelsalat mit Kurtchen

  1. Ach, das hört sich herzig an mit Opa Kurtchen und der ganzen „Gang“, die sich gleich ans Kartoffelsalatmachen macht !! Ich sage Gang, weil ich eure Namensammlung total klasse finde, von Bruce über Rapunzel bis zu Frau B. und Kojak, und natürlich Frau Aldente nicht zu vergessen 🙂 Herrlich ! Und ich schließe mich an: ich kriege jetzt Appetit auf Kartoffelsalat. Salatige Grüße aus dem Wohnzimmer ! – Wo hab ich denn die Gurken….

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  2. Oh man, ich glaube, ich brauche eine Lesebrille. Ach was ich habe ja eine, die sollte ich aufsetzen. Ich habe im Titel gelesen „Kartiffelsalat mit Kuchen“. Dann las ich den Beitrag bestimmt dreimal und dachte nur, wo stehts denn nun, das mit dem Kuchen? Und siehe da, nix Kuchen, Kurtchen . Aber trotzdem sehr schön😊 geschrieben. LG Ela☕

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  3. Das erinnert mich an die Werbung aus den 70ern für die Allianz-Versicherung … Ein junger Mann aus Deutschland kurvt durch eine italienische Stadt (Neapel, glaub ich). Er kennt sich nicht aus und kracht in einen kleinen LKW voller Tomaten. Leute strömen auf die Straße. Es gibt ein riesiges Geschrei und Gezeter, das erst endet, als der Unfallverursacher seine Versichertenkarte zückt und der Polizist den Einheimischen offenbar erklärt, dass die Allianz alles zahlt. Der Unfallgegner küsst den jungen Mann vor Freude. Alles lacht, freut sich und dann tafelt man gemeinsam auf der Straße und füttert den jungen Mann fast zu Tode.
    Wenn man sich überlegt, dass wir Deutschen immer älter, die Rentner immer mehr werden und Demenz jeden treffen kann, dann ist Deine Geschichte wie eine Art Fortsetzung nach 40 Jahren – allerdings nicht für eine Versicherung, sondern für Nachbarschaftshilfe. Irgendwie traurig (wegen der Demenz), aber auch schön …

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