Märchenhafter Mohnkloß

„Das nenne ich mal nachhaltig“ sagt Bruce und klopft auf den ausgehöhlten Kürbis in dessen Innerem Kerzen flackern, „Halloween ist doch lange vorbei.“

Die Tür des Vereinsheims fliegt auf und Pierre stürmt herein. „Braucht ihr Mohn?“

„Mohn? Ist das nicht verbo-„

Pierre unterbricht Frau B.: “Das ist morphinarmer Backmohn.“

Rapunzel tritt ein.

„Pierre verstößt gegen das Betäubungsmittelgesetz“, stichelt Frau B. und Rapunzel sieht sich mit großen Augen um.

„Wollten wir nicht heute Märchenstunde?“

„Die hat schon angefangen“, murrt Pierre.

„Ich könnte 250 Gramm Backmohn brauchen“, flüstere ich. Pierre schiebt mir eine Papiertüte zu.

„Könnt ihr eure kriminellen Machenschaften nicht woanders abwickeln“, frotzelt Frau B. weiter.

„Morphinarmer Wirtschaftsmohn ist erlaubt“, sagt Bruce. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: “Wenn er nicht grad vorn am Gartenzaun steht.“

„Das nenne ich mal klar geregelt“, prustet Frau B. los.

Paul und sein Freund Moritz kommen zur Märchenstunde. Rapunzel hat sich mit einem alten Bettlaken hinter dem Tresen verkrochen. Wir warten, doch da keine weiteren Kinder eintreffen, rückt Frau B. ihre Brille zurecht und beginnt vorzulesen.

„In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien.“

„Wie bei uns, was Karo?“ unterbricht Frau B.

Moritz kräht dazwischen: “Das kenn ich schon.“

„Ach so?“ Frau B. sieht über den Rand ihrer Brille. „Dann weißt du bestimmt, wie es weitergeht.“

Moritz holt tief Luft: „Die Prinzessin geht immer zu einem Brunnen im Wald und spielt dort mit einer goldenen Kugel. Dann fällt die Kugel in den Brunnen und ein Frosch holt sie wieder herauf. Zum Schluss wirft die Königstochter den Frosch an die Wand und er wird zu einem Prinzen.“

„Gut, das hätten wir dann“, murmelt Frau B. und blättert weiter.

„Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen.“

Zufrieden bemerken wir, dass die Kinder dieses Märchen offenbar nicht kennen. An der Stelle als der Küster sich auf dem Glockenturm als Gespenst verkleidet hat, erhebt sich am Tresen hinter Frau B. Rapunzel mit dem übergehängten Bettlaken. Die Kinder bemerken sie zunächst gar nicht. Doch dann schreit Moritz aufgeregt: „Ein Gespenst, ein Gespenst!“

Frau B. dreht sich sehr langsam um. „Wenn wir jetzt ein Stück Mohnkuchen zur Beruhigung hätten.“

Rapunzel kichert und zieht das Laken ab. Wir lachen und Frau B. liest weiter.
Am folgenden Tag überbrühe ich 250 Gramm gemahlenen Mohn mit 250 Milliliter Zuckerwasser, bis ein geschmeidiger Teig entsteht. Je 50 Gramm Rosinen, gehackte Nüsse und 15 Gramm Zitronat setze ich in lauwarmen Wasser mit ein wenig Rumaroma zum Quellen an und hebe sie unter die Mohnmasse. Dann lege ich eine Schüssel mit Weißbrotscheiben oder Zwieback aus, darauf gebe ich eine Lage Mohnmasse. Dann wiederum eine Lage Weißbrot oder Zwieback, bis die Schüssel ganz gefüllt ist. Die oberste Lage ist Mohnmasse und wird nach dem Kaltstellen mit gehackten Mandeln garniert.

Mohnkloß_klein

Schopska-Salat ohne Schafskäse

Ich sitze an der Laube und putze Paprikafrüchte. Kipirr, es scheppert an meiner Gartenpforte. Seit Jahren signalisiert mir dieses Geräusch Besucher und oft kommt mir dabei folgende Begebenheit in den Sinn:

Wenige Wochen nachdem ich meine Kleingartenparzelle gepachtet hatte, erklärte ich meiner Gartennachbarin Frau B., dass ich einen Urlaub in Bulgarien zu verbringen beabsichtigte.
Frau B. musterte mich eine Weile stumm. Dann fragte sie: „Bulgarien? Urlaub? Im September?“

Arglos antwortete ich: „Ja, warum?

„Warum?“ Frau B. rang sichtbar um Fassung. Dann brach es aus ihr heraus: „Wieso fahren sie überhaupt noch in Urlaub? Sie haben doch jetzt einen Garten.“

Sie sollte auf seltsame Art Recht behalten. Im nächsten Sommer brachte ich das Fräulein Tochter zur Welt und seither sind wir ausnahmslos außerhalb der Gartensaison in den Urlaub gefahren.

Damals jedoch, ließ ich den Garten Garten sein und besuchte das schöne Städtchen Nessebar am Schwarzen Meer. Dort entdeckte ich auf einem Markt eine kleine Kugel aus Messing. Der Verkäufer bemerkte mein Interesse. In seinen Händen entpuppte sich die Metallkugel als Schelle. Er bimmelte damit herum, deutete auf eine paar Schafe am Straßenrand und machte: „Böhh, böhh.“ Ich hatte mein Souvenir gefunden.

Wieder zu Hause angekommen band ich in Ermagelung eines Schafes, die Messingbimmel an mein Gartentor.

Das erste Kipirr des heutigen Tages verursachte Fräulein Tochter, im Schlepptau hat sie ihren bärtigen Freund mit dem Dutt.

„Na“, frage ich, „was macht die essbare Stadt?“

„Pfft“, macht das Fräulein Tochter, „alles abgeerntet und aufgegessen Mama. Wie sieht es bei Dir aus?“

„Ein paar Tomaten, Gurken, Zwiebeln und Paprika hab ich noch.“

„Das paßt prima. Wir haben Tofu wie Feta mitgebracht.“

Das Fräulein Tochter will mit ihren Freunden aus unserem Heimatort nicht nur eine essbare Stadt machen, sondern viele der jungen Leute verzichten auch auf alle Nahrungsmittel tierischer Herkunft.

„Tofu wie Feta?“

„Ganz einfach, Mama. 200 Gramm Tofu fein zerkrümeln. mit drei Esslöffel Hefeflocken, dem Saft einer halben Zitrone, zwei Esslöffel Olivenöl, einer gepressten Knoblauchzehe und einer Prise Salz mischen.“

„Fehlt ja nur noch das Gemüse für einen schönen Schopskasalat.“

Wir schnibbeln eine Schlangengurke, vier Tomaten, eine gelbe Paprikaschote, eine Zwiebel und geben eine gepresste Knoblauchzehe, drei Esslöffel Olivenöl, eine Handvoll gehackte, glatte Petersilie, Salz und Pfeffer dazu. Ich verschließe die Schüssel und sage:

„Für das optimale Aroma, muss das Gemüse mindestens zwei Stunden ziehen. Ihr könnt mir ja einstweilen im Garten helfen.“

Nach der Gartenarbeit, schneiden wir Weißbrot, mischen den Tofu unter das Gemüse und lassen es uns munden.

Meine Nachbarin Frau B. lugt zu unserem Gartentisch herüber, wünscht guten Appetit und fügt hinzu: „Ah, der junge Mann mit dem Dutt.“

„Das ist kein Dutt, das ist ein Man Bun“, klärt das Fräulein Tochter auf.

„Man Bun“, Frau B. schüttelt ihren Kopf und knurrt: „Könnte auch Kraut heißen, so wie es oben von der Rübe absteht.“

Gazpacho Andaluz

Ich wurde für die Verpflegung beim Vereins-Sommerfest eingeteilt. Das Fräulein Tochter bot Unterstützung an.

„Mama“, sprach sie und sah mir tief in die Augen, „ich bring da mal ein paar Leute mit.“

Ich konnte mir schon lebhaft vorstellen, wen sie meinte. Vermutlich den spanischen Physikstudenten, von dem in letzter Zeit öfter mal die Rede war und ganz bestimmt ihren neuen Freund, der angeblich Philosophie studiert und mit anderen jungen Menschen aus unserem Heimatort eine essbare Stadt machen will. Für den Anfang haben sie auf einem Hinterhof in alten Badewannen Tomaten, Paprika und Gurken gepflanzt. Wie ich von meiner Tochter weiß, kennen sie sich auch mit Feiern aus, also willigte ich ein.

Am Festtag entert ein buntes Häuflein junger Leute den Festplatz, als gerade der Schalmeienzug sein zwanzigminütiges Eröffnungströten beendet hat.

Just in diesem Augenblick fällt einer der Musiker steif wie ein Brett, mit der Nase voran in die Grasnarbe. Er hatte, wie sich wenig später herausstellen sollte, aufs Frühstück verzichtet. Dies war ihm, in Kombination mit starker Sonneneinstrahlung und Schalmei blasen, zum Verhängnis geworden.

Im allgemeinen Tumult integrieren sich das Fräulein Tochter nebst Gefolgschaft vorbildlich ins anwesende Vereinsvolk.

Die Neuankömmlinge packen beherzt zu und verfrachten den Verunglückten in den Schatten. Der Patient wird mit nassen Lappen gekühlt. Immerhin hat er jetzt mindestens zwei angehende Mediziner und doppelt so viele künftige Geisteswissenschaftler zur Seite. Auf der Festbühne dudelt „Live is life“ von Opus.

Die Sonne brennt. Die Rede des Vorsitzenden gerät kurz. Höchste Zeit mit der Beköstigung der Festgesellschaft zu beginnen.

Ein Fahrradanhänger wird auf die Festwiese geschoben. Auf dem Gefährt sind zwei große Metallbehälter und eine Gasflasche montiert. Die Behälter ähneln meinem alten Schnellkochtopf.

Meine Gartennachbarin Frau B. nähert sich neugierig der Apparatur. „Na, was gibt’s denn hier?“

„Gazpacho Andaluz“ flötet das Fräulein Tochter.“Eine kalte Gemüsesuppe.“

„Kalt? Glaub ich nicht.“ Frau B. wischt sich mit einem Tuch über Gesicht und Nacken.

Der Physiker fummelt am Ventil der Gasflasche herum und sagt: „Kann los gehen.“ Schnell sind die Topfdeckel abgenommen. Die Suppe ist so kalt, dass sich darüber Nebelschwaden bilden.

„Und was ist da alles drin?“ forscht Frau B. weiter.
Das Fräulein Tochter zählt auf: „15 Salatgurken, 60 große Tomaten, 45 Paprikaschoten, 15 Zwiebeln, 30 Knoblauchzehen, 750 g Semmelbrösel, 250 ml Rotweinessig, 500 ml Olivenöl.“

Frau B. bleibt skeptisch: „Wer soll denn das alles essen?“

„Das werden grade mal 30 Portionen“, erklärt das Fräulein Tochter nüchtern, „plus minus fünf Kellen.“

Die jungen Leute hatten das Gemüse geputzt und zwei Drittel von jeder Gemüsesorte mit dem Paniermehl, Essig, Öl, Zucker, Pfeffer und Salz püriert. Das jeweils verbliebene Drittel Grünzeug wurde in feine Stücke geschnitten, in das Püree gerührt und alles gekühlt.
Zum Servieren streuen sie noch in Würfel geschnittenes, getoastetes Weißbrot darüber.