Von den Jahreszeiten sind mir Frühling und Herbst die liebsten. Auf die letzten warmen Herbsttage sollte unmittelbar ein angenehmer Frühling folgen.
Doch wenn ich mich nur zwischen Sommer und Winter entscheiden könnte, hätte ich ein Problem. Denn obgleich ich Kälte nicht mag, ist der Umgang mit ihr irgendwie einfacher, als mit Hitze. Im Winter einen zusätzlichen Pullover überstreifen kann jeder, bei 38 Grad Celsius im Schatten ist mit Kleidung ablegen irgendwann Ende im Gelände. Außerdem kann ich auch mit mehreren warmen Kleidungsstücken übereinander gezogen noch Gartenarbeiten verrichten, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten. Alles eine Sache des textiltechnischen Feintunings.
Als universelles Kleidungsstück hat sich meine Latzhose erwiesen. Im Sommer schlabbert sie mir angenehm um die Beine und lässt jeden Windhauch passieren und im Winter kann ich sie gewissermaßen als Oberpelle über Strumpfhose und Jogginghose verwenden.
So präpariert, können mich selbst tiefste Temperaturen nicht schrecken. Auch viel Bewegung macht mir dabei nichts aus, außer, wenn ich am Morgen eine Strumpfhose mit ausgeleiertem Gummibund aus dem Schrank gefischt und angezogen habe. Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich kehre noch einmal zum Schrank zurück und verändere die Kleidungsordnung oder ich fasse alle paar Minuten mit den Händen seitlich vom Hosenlatz nach der Kordel von der Trainingshose, zupfe diese auf, greife den Bund der Strumpfhose, ziehe diesen unter Zuhilfenahme rhythmischer Bein- und Hüftbewegungen nach oben und fummele schließlich wieder eine Schleife in die Sporthosenhalteleine. Sinnvollerweise sollte die Prozedur begonnen werden, bevor die Strumpfhose den Schlüpfer mit auf Expedition zur Südhalbkugel genommen hat.
Diese Verrichtung nimmt natürlich eine Menge Aufmerksamkeit in Anspruch. Schließlich soll ja nicht zu viel Kaltluft zwischen die Kleidungsstücke geraten.
„Hrm, hrm!“ Ich höre hinter mir ein Räuspern. Ich zurre die Kordel fest, rücke meine Pudelmütze grade und drehe mich um. Am Zaun steht Lutz, der wegen seiner Ähnlichkeit mit dem französischen Schauspieler Pierre Richard von allen nur Pierre genannt wird.
„Du hast mich erschreckt. Wie lange stehst du schon da?“ frage ich.
„Och, noch nicht so lange. Sah interessant aus. Was treibst Du da?“
„Strumpfhose rutscht“, gebe ich mürrisch zurück.
„Willst du Chicorée?“
„Ja!“ Meine Laune bessert sich augenblicklich.
Pierre reicht mir einige Zichorienknospen.
„Was wirst du daraus machen?“, fragt er überm Gehen.
„Och, vermutlich was Kaltes. Von den sechs Chicorée löse ich zirka 20 bis 25 Blätter ab. Den Rest gebe ich mit 50 Gramm eingeweichten Cashewkernen, je 50 Gramm geputztem und kleingehacktem Knollen- und Staudensellerie, je einem Teelöffel edelsüßem Paprikapulver, Zitronen- und Rote-Bete-Saft, je einem Esslöffel Olivenöl und Sojasauce und einer großen Gemüsepaprika und einem Stängel Petersilie in den Mixer. Die Creme auf die Chicorée-Schiffchen streichen – fertig.“
„Kannst du mir das aufschreiben?“
„Mach ich und schönen Dank nochmal.“